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Tote des 17. Juni 1953
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Joachim Bauer

4.5.1933 - 17.6.1953
gest. um 15.30 Uhr in Delitzsch vor dem VPKA


Joachim Bauer wird am 4. Mai 1933 in Brodau als einziges Kind seiner Eltern geboren. Nach achtjährigem Volksschulbesuch lernt er das Maurerhandwerk bei einer Delitzscher Firma und arbeitet dort als Geselle. Wie sein Vater, der auch Maurer ist, geht er winters als Hausschlächter über die Dörfer. Seine Mutter arbeitet bei einem Bauern. (1)

Ähnlich wie Gerhard Dubielzig gerät auch Joachim Bauer eher aus Neugierde denn mit politischen Ambitionen am 17. Juni 1953 in den Demonstrationszug, der sich dem Volkspolizeikreisamt (VPKA) in der Dübener Straße zuwendet. Dort wird lautstark die Freilassung der Gefangenen gefordert. Die Polizei setzt Löschfahrzeuge und Lautsprecherwagen ein, doch die Menge lässt sich nicht zerstreuen. Im Gegenteil, sie schwillt durch neue Schichtheimkehrer an.

Am Nachmittag dringen gegen 15.30 Uhr Demonstranten in den Vorhof des Polizeigebäudes ein. Nun werden aus den oberen Fenstern erst Warnschüsse, dann gezielte Schüsse abgefeuert. Die Demonstranten fliehen, zurück bleiben zwei Tote und mehrere Verletzte. Joachim Bauer stirbt auf der Stelle an einem Kopfschuss. Bald fahren auch in Delitzsch sowjetische Panzer auf, und der Militärkommandant verhängt den Ausnahmezustand. Die beiden Toten werden von den Demonstranten ins Kreiskrankenhaus gebracht.

Die Eltern haben am Abend des 17. Juni noch Gelegenheit, ihren toten Sohn im Krankenhaus zu sehen. Die Morduntersuchungskommission der BDVP Leipzig veranlasst noch in der Nacht die Überführung der Leichen in die Gerichtsmedizin nach Leipzig. (2) Neben den Protesten in den Betrieben (3) bleibt der Tod der beiden jungen Männer auch in der Stadt Delitzsch selbst nicht folgenlos. In der Stadt und ihrer Umgebung wurden nachts Schilder mit der Aufschrift "Wir fordern die Bestrafung der Polizeimörder" angebracht. (4)

Selbst in den Schulen macht sich eine "gewisse Unruhe" breit. So verweigert eine 11. Klasse der Delitzscher Oberschule die schriftliche Prüfungsarbeit wegen "Erregung über die Vorgänge des gestrigen Tages" (5). Drei andere Klassen treten in einen Schülerstreik. Ein weiterer Schüler verweigert die Prüfung mit folgender Begründung: "Es kann von mir nicht verlangt werden, daß ich heute die Prüfungsarbeit schreibe, denn ich habe gesehen, wie die Volkspolizei auf junge Menschen geschossen hat und dabei zwei davon erschossen wurden. Ich war immer für den Fortschritt, doch was ich gestern gesehen habe, dadurch ist mein Vertrauen geschwunden." (6)

Zusammen mit den anderen Toten des Volksaufstandes wird Joachim Bauer am 20. Juni zwischen 2.15 Uhr und 7.30 Uhr auf dem Leipziger Südfriedhof eingeäschert, ohne die Angehörigen informiert, geschweige denn um Erlaubnis gefragt zu haben. (7) Erst am 15. Juli, vier Tage nach Aufhebung des Kriegsrechtes in Leipzig, gibt der Staatsanwalt die Urnen zur Bestattung frei. (8) Joachim Bauer wird am 24. Juli auf dem Friedhof in Brodau beigesetzt. (9) An der Trauerfeier darf nur der engste Familienkreis teilnehmen. (10)

1996 wird auf Beschluss des Delitzscher Stadtrates am Ort des damaligen Geschehens eine Gedenktafel für die beiden Erschossenen angebracht. (11)





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1 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch: Löser, Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 im Kreis Delitzsch.
2 Spitzenmeldung der BDVP Leipzig, Abteilung K, AK/MUK an den Operativstab der HVDVP vom 18.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 359.
3 Vgl. den Beitrag zu Gerhard Dubielzig im vorliegenden Band.
4 Berichterstattung der SED-BL Leipzig an das ZK der SED über "Feindtätigkeit" o.D., in: SAPMO-BA, DY 30, IV/2/5/553, Bl. 151, zit. nach: Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 142.
5 Analyse der SED-KL Delitzsch "über die Entstehung des Ausbruchs des faschistischen Abenteuers vom 20.6.1953, in: SächsStAL, SED IV/4/04/345, unpag., zit. nach: Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 142.
6 Fernschreiben der BVfS Leipzig über "Vorkommnisse" vom 18.6.1953, in: BStU, Ast. Leipzig, Leitung 00239, Bl. 18, zit. nach : Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 142.
7 Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 20.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 367. Im Kremationsbuch des Leipziger Südfriedhofs konnte der Einäscherungsvermerk trotz intensiver Recherche bisher nicht aufgefunden werden.
8 Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 15.7.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 368. Die Urne wurde am 22.7.1953 nach Delitzsch überführt und in die Obhut des dortigen VPKA übergeben.
9 Die Grabstätte auf dem kirchlichen Friedhof in Brodau existiert nicht mehr.
10 Vgl. auch Traueranzeige in der Leipziger Volkszeitung vom 6.8.1953, abgedruckt in: Löser, Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 im Kreis Delitzsch, S. 21.
11 Löser, Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 im Kreis Delitzsch, S. 5 und 47. – Siehe auch: Kaminsky, Orte des Erinnerns, S. 297/298.


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